Das BVerwG hat am 27.11.2014 entschieden, dass beamtete Bewährungs- und Gerichtshelfer in Baden-Württemberg nicht den Weisungen des privaten Trägers unterliegen, dem derzeit vom Land die Aufgabe der Bewährungs- und Gerichtshilfe übertragen ist.
Bis längstens Ende 2016 ist allerdings die bisherige Praxis im Wesentlichen hinzunehmen, um eine wirksame Erfüllung der Aufgabe sicherzustellen, so das BVerwG.
Im Jahr 2007 übertrug das Land Baden-Württemberg aufgrund einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung (im Landesgesetz über die Bewährungs- und Gerichtshilfe sowie die Sozialarbeit im Justizvollzug – LBGS) in einem Generalvertrag durch Beleihung die Aufgaben der Bewährungs- und Gerichtshilfe auf eine gemeinnützige GmbH. Gleichzeitig wurde bestimmt, dass dem freien Träger das “Ergebnis” der Dienstleistung der weiterhin beim Land beschäftigten Bediensteten überlassen und der freie Träger “zur Ausübung der Fachaufsicht und des fachlichen Weisungsrechts” gegenüber den Landesbeamten ermächtigt wird. Zur Durchführung der Aufgabe überließ das Land dem freien Träger Räumlichkeiten, die die GmbH für ihre Zweigstellen nutzt. In den Räumlichkeiten befinden sich auch die staatlichen Dienststellen, die vom Land gerade im Hinblick auf den Vertrag geschaffen und an die die beamteten Bewährungshelfer “versetzt” worden sind. Der Kläger, ein beamteter Bewährungshelfer, begehrt die Feststellung, dass die Übertragung von Weisungs- und Aufsichtsrechten auf den freien Träger rechtswidrig ist.
Das BVerwG hat dem vorinstanzlich erfolglos gebliebem Klagebegehren entsprochen.
Nach Auffassung des BVerwG muss ein Beamter Weisungen seines Vorgesetzten befolgen, die sich inhaltlich auf seinen dienstlichen Aufgabenbereich und die Modalitäten der Aufgabenerfüllung beziehen. Die Vorgesetzteneigenschaft bestimme sich nach dem hierarchischen Aufbau der Verwaltung. Weisungen eines Nichtvorgesetzten seien unverbindlich, sie können keine Befolgungspflicht auslösen. Weisungsbefugnis und damit korrespondierende Befolgungspflicht seien unverzichtbar, um die Verantwortung der politischen Spitze der Exekutive für das gesamte Verwaltungshandeln zu gewährleisten. Befolge der Beamte eine Weisung nicht, verletze er seine Dienstpflichten und könne disziplinarisch belangt werden. Daraus ergäben sich Anforderungen an gesetzliche Regelungen der Weisungsbefugnis. Aus der gesetzlichen Regelung müsse sich klar und eindeutig ergeben, wer, unter welchen Voraussetzungen und mit welchem dienstlichen Bezug befugt ist, dem Beamten Weisungen zu erteilen.
Dem genügten die Bestimmungen des Landesgesetzes nicht. Sie seien unklar, unvollständig und in sich widersprüchlich; diese Widersprüche seien auch nicht auflösbar: Unklar sei schon die Person des Weisungsbefugten; das Landesgesetz nenne insoweit einerseits den “Vorstand” des freien Trägers, an anderer Stelle den “freien Träger” als solchen. Daraus ergebe sich nicht, welche Mitarbeiter des freien Trägers, etwa bei einem mehrköpfigen Vorstand, die Weisungsbefugnis innehaben sollen. Eine Delegationsbefugnis (wie sie in der dreistufigen Organisationsstruktur des freien Träger praktiziert werde) sei im Gesetz nicht geregelt. Der Vorstand des freien Trägers werde nicht zum Vorgesetzten der Beamten bestimmt. Die Weisungsbefugnis sei aber immer personen- oder funktionsbezogen. Die Remonstrationsbefugnis des Beamten sei nicht klar geregelt. Die dem freien Träger nicht zugewiesenen beamteten Bewährungshelfer seien zur Dienstleistung gegenüber dem Land verpflichtet; das setze eine öffentliche Aufgabe voraus, die das Land allerdings auf den freien Träger als Beliehenen übertragen habe. In den Dienststellen des Landes, an die die Beamten versetzt worden seien, gibt es daher keine Aufgabe des Landes (mehr) zu erfüllen. Andererseits seien die Beamten auch nicht in die Organisationsstruktur des freien Trägers eingegliedert; denn eine förmliche Zuweisung sei ausdrücklich nicht gewollt gewesen. In sich widersprüchlich sei insbesondere, dass die Dienstleistung für das Land erbracht und dem privaten Träger nur deren “Ergebnis” (nicht aber der Beamte bzw. dessen Dienstleistung) überlassen werden soll. Denn das Land habe diese Aufgabe auf den Privaten übertragen; weshalb es dann noch eines Weisungsrechts des freien Trägers bedürfe, der lediglich das fertige “Ergebnis” der Dienstleistung erhalten solle, erschließe sich nicht.
Der Versuch, dem privaten Rechtsträger Weisungsrechte gegenüber den beamteten Bewährungshelfer einzuräumen, sei angesichts dieser in sich widersprüchlichen und auch mit den Mitteln richterlicher Gesetzesauslegung nicht auflösbaren Rechtskonstruktion gescheitert. Nicht betroffen seien dagegen die bestehenden Weisungsbefugnisse der Gerichte und Staatsanwaltschaften gemäß dem Strafgesetzbuch (StGB) und Jugendgerichtsgesetz (JGG) sowie der Dienstvorgesetzten gemäß § 3 LBGS; gänzlich nicht berührt seien die tarifbeschäftigten und ehrenamtlichen Bewährungshelfer.
Um einen (teilweise) rechtslosen Zustand zu vermeiden und die Funktionsfähigkeit der Bewährungs- und Gerichtshilfe in Baden-Württemberg zu gewährleisten, sei der Zustand, wie er sich in der Praxis herausgebildet habe, noch für einen Übergangszeitraum, längstens bis Ende 2016, hinzunehmen. Der freie Träger werde den Bewährungs- und Gerichtshelfern die Einhaltung genereller Qualitätsstandards nur vorgeben dürfen, wenn das Land diesen Standards vorab zugestimmt und sie seinen Beamten gegenüber für verbindlich erklärt habe. Auch müsse sichergestellt sein, dass sich die beamteten Bewährungs- und Gerichtshelfer mit Bedenken gegen Anordnungen des freien Trägers unmittelbar an eine Stelle des Landes wenden könnten, ohne den betriebsinternen Dienstweg der Beigeladenen durchlaufen zu müssen.
BVerwG, Urt. v. 27.11.2014 – 2 C 24/13
Pressemitteilung Nr. 71/2014 des BVerwG vom 28.11.2014