Vor dem OVG Lüneburg waren Normenkontrollverfahren niedersächsischer Lehrkräfte gegen Änderungen der Niedersächsischen Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten an öffentlichen Schulen überwiegend erfolgreich.
Gegenstand der Normenkontrollanträge von sieben verbeamteten Gymnasiallehrkräften sowie zwei verbeamteten Leitern von Gymnasien gegen das Land Niedersachsen sind verschiedene Bestimmungen der von der Niedersächsischen Landesregierung erlassenen Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten an öffentlichen Schulen vom 04.06.2014 (Nds. GVBl. S. 150). Mit dieser Verordnung hat die Niedersächsische Landesregierung mit Wirkung vom 01.08.2014 die wöchentliche Regelstundenzahl der Lehrkräfte unter anderem an Gymnasien um eine Stunde von zuvor 23,5 auf nunmehr 24,5 Stunden erhöht. Die Regelstundenzahl ist die Zahl der jeweils 45 Minuten langen Unterrichtsstunden, die vollzeitbeschäftigte Lehrkräfte im Durchschnitt wöchentlich zu erteilen haben. Außerdem ist mit der genannten Verordnung vom 04.06.2014 mit Wirkung vom 01.08.2014 die Unterrichtsverpflichtung unter anderem der verbeamteten Leiter von Gymnasien angehoben worden. Schließlich ist durch die Verordnung die für verbeamtete Lehrkräfte an allen öffentlichen Schulen ursprünglich zum 01.08.2014 vorgesehene Altersermäßigung gestrichen worden. Die Arbeitszeitverordnung hatte in ihrer vorherigen Fassung ab dem 01.08.2014 die Ermäßigung der Unterrichtsverpflichtung für verbeamtete Lehrkräfte ab Vollendung des 55. Lebensjahres um eine Unterrichtsstunde und ab Vollendung des 60. Lebensjahres um zwei Unterrichtsstunden vorgesehen. Diese Regelung ist dahingehend geändert worden, dass es für verbeamtete Lehrkräfte ab dem 01.08.2014 dauerhaft bei der zunächst bis zum 31.07.2014 befristeten Ermäßigung der Unterrichtsverpflichtung um lediglich eine Unterrichtsstunde und erst ab Vollendung des 60. Lebensjahres bleibt.
Das OVG Lüneburg hat die Vorschrift über die Erhöhung der Regelstundenzahl für Lehrkräfte an Gymnasien wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht für unwirksam erklärt.
Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts steht die von sieben verbeamteten Lehrkräften an Gymnasien angegriffene Bestimmung mit der aus Art. 33 Abs. 5 GG folgenden Fürsorgepflicht des Dienstherrn nicht im Einklang. Die Dienstleistungen, die verbeamtete Lehrkräfte an öffentlichen Schulen im Rahmen der für alle Beamten geltenden regelmäßigen Arbeitszeit zu erbringen haben, umfasse zwei Komponenten, nämlich den Bereich der Erteilung von Unterrichtsstunden sowie den Bereich der sogenannten außerunterrichtlichen Verpflichtungen, der sich etwa auf die Vor- und die Nachbereitung des Unterrichts sowie auf Korrekturtätigkeiten, Konferenzen, Elterngespräche, Klassenfahrten und anderes erstrecke. Dass mit der Regelstundenzahl nur diese erste Komponente festgesetzt ist, begegne zwar keinen rechtlichen Bedenken. Auch stehe dem Verordnungsgeber bei der Festsetzung des Verhältnisses zwischen der Arbeitszeit zur Erteilung von Unterrichtsstunden und der sich hieraus ergebenden Festsetzung der Arbeitszeit für die Erledigung außerunterrichtlicher Verpflichtungen ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der gerichtlich nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar sei, ob die Einschätzung des Verordnungsgebers offensichtlich fehlsam, insbesondere willkürlich ist. Der Verordnungsgeber sei jedoch gehalten, die tatsächlichen Grundlagen, die der Ausübung seiner Einschätzungsprärogative zugrunde liegen, in einem transparenten Verfahren sorgfältig zu ermitteln. Dieser – aus dem prozeduralen Aspekt des Art. 33 Abs. 5 GG folgenden – Obliegenheit ist der Verordnungsgeber vor dem Erlass der angegriffenen Vorschrift über die Erhöhung der Regelstundenzahl der verbeamteten Lehrkräfte an Gymnasien nicht hinreichend nachgekommen. Er hätte angesichts der neueren Rechtsprechung des BVerfG zur prozeduralen Absicherung des ebenfalls aus Art. 33 Abs. 5 GG folgenden Alimentationsprinzips (Urt. v. 14.02.2012 – 2 BvL 4/10 – zur Professorenbesoldung; Urt. v. 05.05.2015 – 2 BvL 17/09 u.a. – zur Richterbesoldung), die auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar ist, Veranlassung gehabt, jedenfalls vor dem Erlass einer Vorschrift, die – wie hier – mit den Lehrkräften an Gymnasien nur eine bestimmte Gruppe von Lehrkräften herausgreift und deren Unterrichtsverpflichtung erhöht, im Rahmen einer auch empirischen Studie die tatsächliche Belastung der niedersächsischen Lehrkräfte an Gymnasien zu ermitteln. Veranlassung zu dahingehenden Ermittlungen hätte zudem auch mit Blick auf die zahlreichen Änderungen des niedersächsischen Schulsystems in den letzten zehn Jahren, etwa der Abschaffung der Orientierungsstufe, der Einführung des Abiturs nach acht Jahren, der Einführung der sogenannten Eigenverantwortlichen Schule und der Inklusion, bestanden. Erst wenn die tatsächliche Arbeitsbelastung der Lehrkräfte an niedersächsischen Gymnasien in einem transparenten Verfahren aufgeklärt worden ist, lasse sich feststellen, ob die Einschätzung des Verordnungsgebers – es sei ein Rückgang der außerunterrichtlichen Verpflichtungen der niedersächsischen Gymnasiallehrkräfte erfolgt, so dass die entsprechend “frei” gewordene Arbeitszeit für die Erteilung von Unterricht genutzt werden könne, ohne die Gesamtarbeitszeit zu erhöhen – offensichtlich fehlsam, insbesondere willkürlich ist. Aus dem Vorstehenden folge zugleich ein Verstoß gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG geregelten Grundsatz der Gleichbehandlung, weil ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung der Lehrkräfte an Gymnasien gegenüber den nicht von einer Erhöhung der Regelstundenzahl betroffenen übrigen verbeamteten Lehrkräften im niedersächsischen Schuldienst nicht feststellbar sei.
Da der Verordnungsgeber die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung für Schulleiterinnen und Schulleiter an Gymnasien wesentlich darauf gestützt hat, dass es zu deren Leitungsverantwortung gehöre, die Veränderungen im Bereich ihrer beamteten Lehrkräfte solidarisch mitzutragen, folge bereits aus dem Verstoß der angegriffenen Vorschrift über die Erhöhung der Regelstundenzahl der beamteten Lehrkräfte an Gymnasien gegen höherrangiges Recht, dass auch die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung der Schulleiterinnen und Schulleiter an Gymnasien mit höherrangigem Recht unvereinbar sei.
Keinen Erfolg hatten vier Lehrkräfte an Gymnasien indes, soweit sie mit ihren Normenkontrollanträgen auch die veränderte Bestimmung zur Gewährung altersbedingter Unterrichtsermäßigung angegriffen haben. Insoweit hat das OVG Lüneburg deren Normenkontrollanträge abgelehnt. Es bestehe kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, dass der Umfang der wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung einer Lehrkraft im Beamtenstatus aus Altersgründen ermäßigt werden müsse. Vielmehr stellten derartige Ermäßigungsregelungen eine freiwillige Leistung des Dienstherrn dar, die aus haushaltsrechtlichen Erwägungen geändert werden könne. Dementsprechend hat das OVG Lüneburg insoweit einen Verstoß gegen höherrangiges Recht verneint.
OVG Niedersachsen, Urt. v. 09.05.2015 – 5 KN 164/14
Pressemitteilung des OVG Lüneburg v. 09.06.2015