Das BVerwG hat am 21.04.2016 entschieden, dass die disziplinare Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt nach dem Landesrecht in Baden-Württemberg nicht gegen die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gemäß Artikel 33 Absatz 5 GG verstößt.
Auf der Grundlage des Landesdisziplinargesetzes Baden-Württemberg (LDG BW) von 2008 werden sämtliche Disziplinarmaßnahmen gegenüber Landesbeamten durch behördliche Disziplinarverfügung ausgesprochen. Damit weicht das LDG BW von den entsprechenden Gesetzen in Bund und Ländern ab. Dort werden die disziplinaren Höchstmaßnahmen – Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und Aberkennung des Ruhegehalts – nur aufgrund einer Disziplinarklage durch Disziplinargerichte verhängt.
Der klagende Polizeibeamte betrieb nebenberuflich zwei Bauunternehmen, die zunehmend in finanzielle Schieflage gerieten. Im strafgerichtlichen Verfahren verurteilte ihn das Landgericht wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung und des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in acht Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten. Im sachgleichen Disziplinarverfahren entfernte ihn sein Dienstvorgesetzter durch Disziplinarverfügung aus dem Beamtenverhältnis. Das Berufungsgericht hat seine gerichtliche Überprüfung auf einen Teil der Dienstpflichtverletzungen aus dem in der Disziplinarverfügung zugrunde gelegten einheitlichen Dienstvergehen beschränkt, weil bereits diese die Höchstmaßnahme rechtfertigten.
Das BVerwG hat die Revision des Polizeibeamten zurückgewiesen.
Nach Auffassung des BVerwG stehen der durch das LDG BW angeordneten Erweiterung der behördlichen Disziplinarkompetenz bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und der Aberkennung des Ruhegehalts durch Disziplinarverfügung die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG nicht entgegen. Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums enthielten nach der Rechtsprechung des BVerfG den Kernbestand von Strukturprinzipien, die allgemein oder doch ganz überwiegend während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden seien. Die Entlassung eines auf Lebenszeit ernannten Beamten wegen eines Dienstvergehens sei damals einfachgesetzlich auf Reichsebene wie in den Gliedstaaten teils Gerichten, teils aber auch Verwaltungs- oder besonderen Disziplinarbehörden übertragen gewesen. Die Weimarer Verfassung akzeptierte diese Vielfalt der Verfahrensgestaltung und beschränkte sich darauf, gegen “jedes dienstliche Straferkenntnis” den Rechtsweg zu eröffnen. Im Land Preußen wurden erst im April 1932 unabhängige Disziplinargerichte eingerichtet. Außerdem sei für Beamte im Gesamtstaat wie in den Ländern stets ein Schutz vor willkürlicher Entlassung durch den Dienstherrn anerkannt gewesen.
Der einem Landesbeamten nach dem LDG BW eröffnete umfassende nachträgliche Rechtsschutz gegen eine Disziplinarverfügung, der eine eigene Disziplinarbefugnis der Disziplinargerichte enthalte, genüge den Anforderungen an den verfassungsrechtlich gebotenen disziplinaren Entlassungsschutz. Von der mit der Revision gerügten Verfassungswidrigkeit der behördlichen Disziplinarbefugnis nach dem LDG BW sei nicht auszugehen.
BVerwG, Urt. v. 21.04.2016 – 2 C 4.15
Pressemitteilung des BVerwG Nr. 29/2016 v. 21.04.2016