Das BVerwG hat am 21.04.2016 entschieden, dass bestandskräftige Bescheide über den Verlust der Besoldung bei schuldhaftem Fernbleiben vom Dienst die nach dem Landesdisziplinargesetz Baden-Württemberg von 2008 (LDG BW) vorgesehene Bindungswirkung im sachgleichen Disziplinarverfahren nur dann entfalten, wenn der Beamte hierüber bereits im Verwaltungsverfahren über den Verlust der Dienstbezüge belehrt worden ist.
Das LDG BW ordnet in seinem § 14 an, dass die tatsächlichen Feststellungen u.a. einer unanfechtbaren Entscheidung – und damit auch diejenigen eines ohne gerichtliche Überprüfung bestandskräftig gewordenen Bescheids – über den Verlust der Bezüge wegen schuldhaften Fernbleibens vom Dienst im sachgleichen Disziplinarverfahren bindend sind. Da dieses Gesetz der Disziplinarbehörde eine umfassende Disziplinarbefugnis zuerkennt, wirkt sich diese Bindungswirkung mittelbar auch auf das gerichtliche Verfahren bei der Anfechtung einer Disziplinarverfügung aus. Das Gericht prüft grundsätzlich nicht, ob die bindend festgestellten Tatsachen auch zutreffend sind.
Der klagende Polizeihauptmeister wendet sich gegen seine durch Disziplinarverfügung ausgesprochene Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. In der Disziplinarverfügung wird darauf abgestellt, dass der Kläger circa zehn Monate dem Dienst schuldhaft ferngeblieben ist. Die Disziplinarbehörde hat insoweit die tatsächlichen Feststellungen in zwei rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteilen und in zwei gerichtlich nicht angefochtenen Bescheiden über den Verlust der Dienstbezüge – jeweils über einzelne Zeitabschnitte – zugrunde gelegt. Auch die gerichtlichen Vorinstanzen haben insoweit bei der Überprüfung der Disziplinarverfügung keine eigenen Feststellungen getroffen.
Auf die Revision des Klägers hat das BVerwG die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Nach Auffassung des BVerwG ist es bei verfassungskonformer Auslegung nicht zu beanstanden, dass das LDG BW für unanfechtbar gewordene Bescheide über den Verlust der Besoldung bei schuldhaftem Fernbleiben vom Dienst, die nicht gerichtlich überprüft worden sind, eine Bindungswirkung für das Disziplinarverfahren anordnet und dass diese Bindungswirkung sich mittelbar auch auf das gerichtliche Verfahren zur Überprüfung der Disziplinarverfügung auswirkt. Dies setze aber voraus, dass der Beamte hierüber zuvor im Verwaltungsverfahren über den Verlust der Besoldung belehrt worden sei. Das ergebe sich aus dem rechtsstaatlichen Erfordernis eines fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG) und aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG). Anders als bei Strafurteilen und auch bei gerichtlichen Entscheidungen über den Verlust der Besoldung bei schuldhaftem Fernbleiben vom Dienst könne bei Feststellungen in einem bloßen Verwaltungsakt nicht vorausgesetzt werden, dass die Betroffenen um die ggf. weitreichenden Auswirkungen auf das Disziplinarverfahren wüssten. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, die grundsätzlich auch eine umfassende tatsächliche Prüfung durch das Gericht verlange, sei deshalb nur gewahrt, wenn der Betreffende über eine solche nahezu singuläre Regelung mit ggf. existentieller Bedeutung belehrt worden sei. Im vorliegenden Fall sei hinzu gekommen, dass die Bescheide über den Verlust der Besoldung zwar Hinweise auf das Disziplinarverfahren enthielten, diese Hinweise aber irreführend gewesen seien, weil sie nicht über die Bindungswirkung informierten, sondern im Gegenteil ein Verständnis nahelegten, dass das Disziplinarverfahren völlig unabhängig von dem Verfahren über den Verlust der Besoldung geführt werde.
BVerwG, Urt. v. 21.04.2016 – 2 C 13.15
Pressemitteilung des BVerwG Nr. 30/2016 vom 21.04.2016