Der VGH Mannheim hat am 23.02.2016 die Entscheidung des VG Stuttgart, mit dem das Land Baden-Württemberg zur Zahlung von erhöhtem Unfallruhegehalt und einer Unfallentschädigung an eine vom Amoklauf in Winnenden betroffene Lehrerin verurteilt worden ist, bestätigt.
Die Klägerin war Lehrerin an der Albertville-Realschule in Winnenden. Am Tag des Amoklaufs vom 11.03.2009 unterrichtete sie in dem Schulgebäude. Sie wurde von dem Täter, dem sie nicht begegnete, nicht körperlich verletzt, erlitt aber infolge des Geschehens eine psychische Erkrankung, die das beklagte Land Baden-Württemberg als Dienstunfall anerkannte und die zu ihrer Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit führte. Der Beklagte gewährte ihr ein Unfallruhegehalt, verweigerte aber die Zahlung eines erhöhten Unfallruhegehalts (nach § 37 Beamtenversorgungsgesetz) und eine Unfallentschädigung (nach § 59 Landesbeamtenversorgungsgesetz) mit der Begründung, die Klägerin habe den Dienstunfall nicht, wie von diesen Vorschriften vorausgesetzt, “in Ausübung des Dienstes durch einen rechtswidrigen Angriff” erlitten. Sie sei zu keiner Zeit der objektiven Gefahr der Körperverletzung oder Tötung ausgesetzt gewesen, weil der Täter an ihrem Klassenzimmer vorbeigegangen sei und die Morde in einem anderen Stockwerk begangen habe. Zudem habe es sich um einen generalisierten Angriff gehandelt, der nicht gezielt auf die Klägerin gerichtet gewesen sei.
Das VG Stuttgart gab der dagegen gerichteten Klage statt. Das Land Baden-Württemberger beantragte, die Berufung gegen das Urteil zuzulassen.
Der VGH Mannheim hat den Antrag abgelehnt; damit ist das stattgebende Urteil des VG Stuttgart rechtskräftig.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes bestehen aus den vom Beklagten dargelegten Gründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin sei am Tattag objektiv gefährdet, insbesondere in der Reichweite des Täters gewesen, sei nicht zu beanstanden. Dass sich der Täter, wie der Beklagte hervorhebe, zeitweise in einem anderen Stockwerk und insoweit nicht in unmittelbarer körperlicher Nähe zur Klägerin befunden habe, stehe dem nicht entgegen. Denn für die Annahme einer “Erreichbarkeit” des Opfers sei es in rechtlicher Hinsicht weder erforderlich, dass der vom Täter beabsichtigte Angriff zum Erfolg geführt habe noch dass beide auch nur in einem körperlichen Kontakt gestanden hätten. Maßgeblich sei vielmehr im vorliegenden Fall, dass der Täter sich einer Schusswaffe mit großer Reichweite bedient habe, mit deren Umgang gut vertraut gewesen sei, über eine Patronenzahl im dreistelligen Bereich verfügt habe, u.a. innerhalb des Schulgebäudes in hohem Maße mobil gewesen sei und am Tattag mit größtmöglichem Nachdruck die auch mehrfach umgesetzte Absicht verfolgt habe, Schüler/innen und Lehrer/innen zu töten. Die Klägerin habe sich in dieser Situation jedenfalls solange in der Reichweite des Täters befunden, solange dieser sich auf dem Schulgelände befunden habe und in der Lage gewesen sei, sich dort zu bewegen und Schüsse abzugeben.
Unabhängig davon sei der Einwand des Beklagten auch deshalb nicht dazu geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung hervorzurufen, weil der Beklagte nur eine mögliche Verletzung der körperlichen Unversehrtheit der Klägerin durch Schussverletzungen in den Blick nehme. Die erforderliche objektive Gefahr, dass der Beamte durch die zielgerichtete Verletzungshandlung des Angreifers einen Körperschaden erleide, liege nicht nur dann vor, wenn die Gefahr einer Beeinträchtigung der körperlichen Integrität bestehe, sondern auch dann, wenn der Beamte in die Gefahr gerate, eine psychische Krankheit zu erleiden, wie es hier geschehen sei.
Die Berufung sei auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Dass sich ein “Angriff” im Sinne der genannten Vorschriften auch gegen eine Gruppe von dem Täter zuvor nicht bekannten Beamten richten könne, sei geklärt.
Der Beschluss des VGH Mannheim ist unanfechtbar.
VGH Mannheim, Beschl. v. 23.02.2016 – 4 S 1251/15
Pressemitteilung des VGH Mannheim Nr. 14/2016 v. 15.03.2016