Das BVerfG hat am 21.10.2016 entschieden, dass das Wahlverfahren bei Bundesrichterwahlen Modifikationen gegenüber rein exekutivischen Auswahl- und Beförderungsentscheidungen bedarf.
Kandidatinnen und Kandidaten zum Richter am BGH gewählt. Die ebenfalls zur Wahl vorgeschlagene Beschwerdeführerin wurde nicht gewählt, woraufhin sie Widerspruch gegen die Wahlentscheidung einlegte und geltend machte, dass nach Art. 33 Abs. 2 GG sie anstelle des Beigeladenen hätte berücksichtigt werden müssen.
Ihren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ernennung des Beigeladenen zum Richter am BGH lehnte das VG Lüneburg ab; die Beschwerde wurde vom OVG Lüneburg zurückgewiesen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin, dass der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts sie in ihren Rechten aus Art. 33 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 4 GG verletze.
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.
Nach Auffassung des BVerfG ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, aber unbegründet. Zwar sei auch die Berufung von Richtern an den obersten Gerichtshöfen des Bundes am Grundsatz der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) zu messen. Das durch Art. 95 Abs. 2 GG vorgegebene Wahlverfahren bedinge jedoch Modifikationen gegenüber rein exekutivischen Auswahl- und Beförderungsentscheidungen.
Wesentliche Erwägungen des BVerfG:
1. Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt (Grundsatz der Bestenauslese). Auch die Ämter der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes werden von Art. 33 Abs. 2 GG erfasst.
2. Über die Berufung der Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes entscheidet der für das jeweilige Sachgebiet zuständige Bundesminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss (Art. 95 Abs. 2 GG). Wechselbezogenheit der Entscheidungen beider Akteure und Wahlelement erfordern eine Modifikation der zu Art. 33 Abs. 2 GG bestehenden Aussagen. Dem Wahlelement trüge eine strikte Bindung der Entscheidung des Richterwahlausschusses an Art. 33 Abs. 2 GG nicht ausreichend Rechnung. Zwar müssen sich auch die Mitglieder des Richterwahlausschusses von Art. 33 Abs. 2 GG leiten lassen. Ihre Wahlentscheidung selbst ist aber nicht isoliert gerichtlich überprüfbar.
3. Ein erfolgreiches Berufungsverfahren ist von Verfassungs wegen mit einem faktischen Einigungszwang zwischen dem zuständigen Bundesminister und dem Richterwahlausschuss verbunden. Auf Seiten des Richterwahlausschusses bedeutet dies, dass er die Bindung des zuständigen Ministers an Art. 33 Abs. 2 GG beachten muss. Das zwischen beiden Organen bestehende institutionelle Treueverhältnis verlangt, dass der Richterwahlausschuss jemanden wählt, dessen Wahl der zuständige Minister zustimmen kann. Der Minister wiederrum hat sich bei seiner Entscheidung den Ausgang der Wahl grundsätzlich zu eigen zu machen, es sei denn, die formellen Ernennungsvoraussetzungen sind nicht gegeben, die verfahrensrechtlichen Vorgaben sind nicht eingehalten oder das Ergebnis erscheint nach Abwägung aller Umstände und insbesondere vor dem Hintergrund der Wertungen des Art. 33 Abs. 2 GG nicht mehr nachvollziehbar. Begründungspflichten treffen zwar nicht den Richterwahlausschuss, wohl aber in bestimmten Konstellationen den zuständigen Minister. Erforderlich ist eine Begründung insbesondere dann, wenn der Minister seine Zustimmung verweigert oder er der Wahl eines nach der Stellungnahme des Präsidialrats oder den dienstlichen Beurteilungen nicht Geeigneten zustimmt.
4. Nach diesen Maßstäben wird die Beschwerdeführerin durch den Beschluss des OVG Lüneburg nicht in ihren Rechten verletzt. Den Mitgliedern des Richterwahlausschusses standen hinsichtlich der Beschwerdeführerin und des Beigeladenen alle auswahlrelevanten Informationen zur Verfügung. Die Ernennungsvoraussetzungen waren bei beiden erfüllt. Zwar ist die Beschwerdeführerin nach der Stellungnahme des Präsidialrats besser geeignet. Die Wahl des Beigeladenen bleibt jedoch nachvollziehbar. Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz durfte sich daher die ihrerseits nicht zu überprüfende Wahlentscheidung zu eigen machen, ohne seine Entscheidung begründen zu müssen.
BVerfG, Beschl. v. 21.10.2016 – 2 BvR 2453/15
Pressemitteilung des BVerfG Nr. 75/2016 v. 21.10.2016