Das BVerfG hat am 07.06.2016 entschieden, dass die Anträge auf Erlass von Vollstreckungsanordnungen nach § 35 BVerfGG im Nachgang zum Urteil des BVerfG vom 05.05.2015 zur R-Besoldung in Sachsen-Anhalt unzulässig sind.
Dem Urteil des BVerfG vom 05.05.2015 ( 2 BvL 17/09, 2 BvL 18/09, 2 BvL 3/12, 2 BvL 4/12, 2 BvL 5/12, 2 BvL 6/12, 2 BvL 1/14) zur R-Besoldung lagen unter anderem vier Vorlagebeschlüsse des VG Halle zugrunde. Den Klagen in den Ausgangsverfahren wurde mit bislang unveröffentlichten rechtskräftigen Urteilen des VG Halle vom 08.07.2015 stattgegeben. Die hiesigen Antragsteller sind die Kläger der Ausgangsverfahren vor dem VG Halle.
In seinem Urteil hatte das BVerfG dem Gesetzgeber des Landes Sachsen-Anhalt aufgegeben, verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 01.01.2016 an zu treffen. Der Gesetzgeber hat daraufhin das Gesetz zur Änderung besoldungs- und richterrechtlicher Vorschriften vom 18.12.2015 erlassen. Die Kläger der Ausgangsverfahren haben die Anträge gestellt, “eine Vollstreckungsanordnung gemäß § 35 BVerfGG zu erlassen, in der dem Gesetzgeber des Landes Sachsen-Anhalt aufgegeben wird, eine verfassungskonforme Regelung für die Besoldungsgruppe R 1 Landesbesoldungsordnung für die Jahre 2008 bis 2010 zu erlassen.” Zur Begründung wird angeführt, die vom Gesetzgeber gewählte Minimallösung führe nicht zu verfassungskonformen Regelungen.
Die Anträge auf Erlass von Vollstreckungsanordnungen sind unzulässig.
Nach Auffassung des BVerfG ist der Weg über § 35 BVerfGG grundsätzlich versperrt, sofern der Gesetzgeber ein (Änderungs-)Gesetz erlässt, welches seinerseits Gegenstand eigenständiger Prüfung in einem konkreten Normenkontroll- oder Verfassungsbeschwerdeverfahren sein kann.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:
Nach § 35 BVerfGG kann das BVerfG in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln. Danach trifft das Gericht alle Anordnungen, die erforderlich sind, um seinen verfahrensabschließenden Sachentscheidungen Geltung zu verschaffen. Grundsätzlich kann das BVerfG auch nachträglich Vollstreckungsanordnungen treffen. Allerdings darf eine Vollstreckungsanordnung die Sachentscheidung, deren Vollstreckung sie dient, nicht ändern, modifizieren, ergänzen oder erweitern.
Die vorliegenden Anträge sind nicht statthaft, da die begehrten Vollstreckungsanordnungen über diese Grenze hinausgingen. Sie enthielten, sofern sie ergingen, die (inzidente) Feststellung, dass das Gesetz zur Änderung besoldungs- und richterrechtlicher Vorschriften vom 18.12.2015 keine verfassungskonformen Regelungen treffe. Eine solche Feststellung setzte eine Prüfung der durch das Gesetz geschaffenen neuen Rechtslage voraus. Ein derartiger Beschluss erschöpfte sich daher nicht in der Vollstreckung der Sachentscheidung vom 05.05.2015, sondern ergänzte und erweiterte sie.
Die Anträge nach § 35 BVerfGG zuzulassen, hieße, das Verhältnis von fachgerichtlichem und verfassungsgerichtlichem Rechtsschutz zu verkehren. Die geänderte Gesetzeslage könnte Gegenstand eigenständiger Prüfung in einem konkreten Normenkontroll- oder Verfassungsbeschwerdeverfahren sein. Die Aufbereitungs-, Vorprüfungs- und Entlastungsfunktion der Fachgerichte wiegt vorliegend mit Blick auf die Komplexität der vorzunehmenden mehrstufigen verfassungsrechtlichen Prüfung besonders schwer.
Die Unstatthaftigkeit von Anträgen auf Erlass von Vollstreckungsanordnungen, die eine Würdigung in der Sachentscheidung noch nicht berücksichtigter Normen erforderten, gilt auch, wenn der Vollzug der Sachentscheidung – wie hier – gerade im Erlass von Normen besteht. Etwas anderes dürfte allenfalls dann gelten, wenn der von der ausgesprochenen Gesetzgebungspflicht betroffene Gesetzgeber gar nicht tätig geworden ist oder nur in einer Weise, die so offensichtlich hinter den sich aus der Sachentscheidung ergebenden Anforderungen zurückbleibt, dass dies materiell einer Untätigkeit gleichkommt. Eine solche Konstellation ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
BVerfG, Beschl. v. 07.06.2016 – 2 BvL 3/12 u.a.
Pressemitteilung des BVerfG Nr. 35/2016 v. 22.06.2016