Der VerfGH München hat am 11.02.2015 entschieden, dass die in Art. 85 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes vorgesehene Anrechnung sonstiger Versorgungsleistungen auf die Versorgungsbezüge von Beamten verfassungswidrig ist.
Art. 85 BayBeamtVG regelt das Zusammentreffen von Versorgungsbezügen der Beamten mit Renten. Danach werden Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen (Abs. 1 Satz 2 Nr. 1), aus einer zusätzlichen Alters- oder Hinterbliebenenversorgung für Angehörige des öffentlichen Dienstes (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2), nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (Abs. 1 Satz 2 Nr. 3) und aus der gesetzlichen Unfallversi-cherung (Abs. 1 Satz 2 Nr. 4) sowie Leistungen aus einer berufsständischen Vers-gungseinrichtung oder aus einer befreienden Lebensversicherung (Abs. 1 Satz 2 Nr. 5) in bestimmtem Umfang auf die Versorgungsbezüge angerechnet. Gegenstand des Popularklageverfahrens ist die in Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 BayBeamtVG (Bay-BeamtVG v. 05.08.2010 – GVBl S. 410, 528, ber. S. 764, BayRS 2033-1-1-F, zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes v. 17.12.2014 – GVBl S. 511) vorgesehene Anrechnung von sonstigen – beispielsweise aus einer privaten (Betriebs-)Rentenversicherung stammenden – Versorgungsleistungen auf die Versorgungsbezüge der Beamten. Diese Regelung betrifft sowohl Mischlaufbahn-Beamte, also Arbeitnehmer, die vor oder nach ihrem Amt als Beamter für einen privaten Arbeitgeber tätig waren, als auch Beamte, die während des aktiven Dienstes neben dem Beamtenberuf eine Nebentätigkeit ausgeübt haben.
Mit der Popularklage rügt der Antragsteller, Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 BayBeamtVG verletze den Gleichheitssatz (Art. 118 Abs. 1 Bayerische Verfassung) und das Gebot des Vertrauensschutzes in Form der Garantie der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 95 Abs. 1 Satz 2 Bayerische Verfassung). Zwar könne sich der Gesetzgeber in bestimmten Fällen von seiner Alimentationsaufgabe dadurch entlasten, dass er den Versorgungsberechtigten auf andere Einkünfte verweise. Dies gelte aber lediglich für die Anrechnung von Einkünften, die aus öffentlichen Kassen stammten. Ein hinreichend tragfähiges staatliches Interesse daran, die ohne Beteiligung der öffentlichen Hand erreichte private Alterssicherung zur Reduzierung der Belastung öffentlicher Kassen in Anspruch zu nehmen, bestehe nicht. Rein fiskalische Überlegungen, insbesondere auch steuerlicher Art, stellten keinen Rechtfertigungsgrund dar. Die Vorschrift hätte zudem allenfalls mit einer verfassungsrechtlich einwandfreien Übergangsbestimmung erlassen werden dürfen.
Der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung halten die Popularklage für unbegründet. Das versorgungsrechtliche Leitbild des Nur-Beamten orientiere sich an einem Beamten, der eine ruhegehaltfähige Dienstzeit von mindestens 40 Jahren vorweisen könne und damit den Höchstruhegehaltssatz erdient habe. Die damit verbundene Höchstversorgung solle auch derjenige nicht überschreiten, der durch ein weiteres Beschäftigungsverhältnis einen zusätzlichen, ebenfalls der Alterssicherung dienenden Anspruch erworben habe. Dabei komme es nicht darauf an, ob das weitere Beschäftigungsverhältnis vor oder während der Beamtentätigkeit bestanden habe. Die erhöhte Versorgung bei Vorliegen weiterer Beschäftigungen ergebe sich vor allem deshalb, weil Alterssicherungssysteme, wie z. B. Beamtenversorgung und Betriebsrente, nicht aufeinander abgestimmt seien und unkoordiniert nebeneinander liefen. Im Übrigen werde die Staatskasse z.B. infolge von Pensionsrückstellungen belastet, die den Gewinn und damit die Steuerlast eines Unternehmens minderten.
Der VerfGH München hat entschieden, dass die Popularklage begründet ist.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs überschreitet die in Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 BayBeamtVG vorgesehene Anrechnung von sonstigen – beispielsweise aus einer privaten (Be-triebs-)Rentenversicherung stammenden – Versorgungsleistungen auf die Versorgungsbezüge der Beamten die durch das Alimentationsprinzip (Art. 95 Abs. 1 Satz 2 BV) vorgegebenen Grenzen und ist nichtig. Da insoweit weder eine Betroffenheit öffentlicher Kassen gegeben sei noch eine Störung des beamtenrechtlichen Pflichtengefüges inmitten stehe, lägen sachliche systemimmanente Gründe für eine Ausnahme vom Grundsatz der Nichtanrechenbarkeit privatwirtschaftlicher Einkünfte, die der Versorgung dienen, nicht vor. Die Anrechnung bewirke eine unzulässige Kürzung der Versorgungsbezüge.
Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 BayBeamtVG erfasse laufende oder einmalige Versorgungsleistungen, die – ohne jede Beteiligung des Dienstherrn – beispielsweise aus einer privaten (Betriebs-)Rentenversicherung stammen, soweit sie auf einer zumindest paritätischen Beteiligung des (privaten) Arbeitgebers beruhen (vgl. Art. 85 Abs. 5 Satz 2 BayBeamt-VG). Damit wolle der Gesetzgeber erstmals ausschließlich privat finanzierte Leistungen aus inländischen privaten Kassen auf die Versorgungsbezüge eines mit Erreichen der allgemeinen gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand getretenen Beamten anrechnen. Private Kassen unterschieden sich jedoch wesentlich von den – öffentlichen – Rentenkassen und könnten mit diesen nicht gleichgesetzt werden. Denn private Kassen seien unabhängig davon, ob die Beiträge von den Versicherten selbst oder von den jeweiligen (privaten) Arbeitgebern gezahlt werden, anders als die Rentenkassen nicht geprägt von den Prinzipien der Solidarität und des sozialen Ausgleichs; sie beruhten vielmehr auf dem Versicherungsprinzip und damit einem völlig anderen Finanzierungs- und Leistungssystem. Der Umstand, dass der private Arbeitgeber wegen von ihm zu leistender Beitragszahlungen bzw. wegen gewinnmindernder Pensionsrückstellungen steuerlich begünstigt werde oder der Beamte bei in den Ruhestand verschobenen Einkünften von einem niedrigeren Steuersatz profitiere stelle keinen besonderen Bezug zum System der Besoldung und Versorgung her.
Die Versorgungsansprüche gegen private Kassen führten nicht zu einer schwer verständlichen Begünstigung von Beamten, die eine Anrechnung solcher Versorgungsleistungen auf die Beamtenversorgung begründen könnte. Zwar enthalte die Beamtenversorgung auch einen sog. Betriebsrentenanteil; eine private Vorsorge sei für einen ausreichenden Lebensunterhalt neben der Beamtenversorgung nicht erforderlich. Dies besage jedoch nicht, dass es Beamten verwehrt wäre, durch Gehaltsverzicht während des Arbeitslebens eine überwiegend oder vollständig durch den privaten Arbeitgeber finanzierte höhere Versorgung im Ruhestand aus privaten Kassen zu erzielen. Soweit sie diese Möglichkeit nutzten, habe dies keinen Bezug zu ihrer beamtenrechtlichen Versorgung.
BayVerfGH, Urt. v. 11.02.2015 – Vf. 1-VII-13
Pressemitteilung des BayVerfGH vom 16.02.2015