Der EuGH hat am 23.04.2020 entschieden, dass die nur teilweise Anrechnung von gleichwertigen Vordienstzeiten eines Lehrers bei der Einstufung nach dem TVöD ein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellt.
Die deutsche Staatsangehörige WN wurde 2014 vom Land Niedersachsen als Lehrerin eingestellt. Sie beanstandet vor den deutschen Arbeitsgerichten, dass bei ihrer Einstufung in die Entgelttabelle von den 17 Jahren, die sie zuvor in Frankreich als Lehrerin tätig gewesen sei, nur drei Jahre angerechnet worden seien. Nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der [deutschen] Länder in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 7 vom 09.03.2013 wird die einschlägige Berufserfahrung einer vom Land Niedersachsen eingestellten Person, die bei anderen Arbeitgebern erworben wurde, nur teilweise angerechnet.
Das BAG hat den EuGH in diesem Zusammenhang um Vorabentscheidung ersucht.
Der EuGH hat dem BAG wie folgt geantwortet:
• Art. 45 Abs. 1 AEUV [Arbeitnehmerfreizügigkeit] ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für die Ermittlung der Höhe des Entgelts eines als Lehrer bei einer Gebietskörperschaft beschäftigten Arbeitnehmers die Vordienstzeiten, die von diesem Arbeitnehmer bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen anderen Arbeitgeber als dieser Gebietskörperschaft zurückgelegt wurden, nur im Umfang von insgesamt bis zu drei Jahren berücksichtigt, wenn diese Tätigkeit derjenigen gleichwertig ist, die der Arbeitnehmer im Rahmen dieser Tätigkeit als Lehrer auszuüben hat.
Hinsichtlich gleichwertiger Berufserfahrung hat der EuGH festgestellt, dass deutsche Wanderarbeitnehmer – einschließlich derjenigen, die aus Niedersachsen stammten –, die beabsichtigten, mehr als drei Jahre eine Tätigkeit als Lehrer oder eine vergleichbare Tätigkeit an einer oder mehreren Schulen oder vergleichbaren Einrichtungen außerhalb dieses Bundeslands oder in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland auszuüben, davon abgehalten würden, dies zu tun. So würden diese Arbeitnehmer insbesondere dann davon abgehalten, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um dort eine Tätigkeit als Lehrer oder eine vergleichbare Tätigkeit auszuüben, wenn bei ihrer Rückkehr nach Niedersachsen trotz im Wesentlichen gleicher Arbeit in diesem anderen Mitgliedstaat bei ihrer Entgelteinstufung durch das Land Niedersachsen nicht die gesamte gleichwertige Berufserfahrung angerechnet werde.
Im vorliegenden Fall sei die von WN in Frankreich erworbene Berufserfahrung vom Land Niedersachsen als im Wesentlichen gleichwertig anerkannt worden. Folglich sei eine Regelung wie die hier in Rede stehende, sofern sie nicht sämtliche gleichwertige Vordienstzeiten, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsmitgliedstaat eines Wanderarbeitnehmers zurückgelegt wurden, berücksichtige, geeignet, die Arbeitnehmerfreizügigkeit unter Verstoß gegen Art. 45 Abs. 1 AEUV weniger attraktiv zu machen, und stelle damit eine Beeinträchtigung dieser Freiheit dar.
Keiner der geltend gemachten Rechtfertigungsgründe könne diese Beeinträchtigung rechtfertigen. Das gelte insbesondere hinsichtlich des mit der in Rede stehenden Regelung verfolgten Zwecks, die Gleichbehandlung von befristet und unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern sicherzustellen, indem Arbeitnehmern bei wiederholten Befristungen der Stufenaufstieg ermöglicht werde. Um diese Gleichbehandlung sicherzustellen, sei es nicht erforderlich, die gleichwertige Berufserfahrung der Arbeitnehmer, die für einen anderen Arbeitgeber gearbeitet hätten, teilweise auszuschließen. Außerdem verlange der Grundsatz der Gleichbehandlung keineswegs, dass befristet beschäftigte Arbeitnehmer im Vergleich zu einer solch anderen Kategorie von Arbeitnehmern bevorzugt werden.
EuGH, Urt. v. 23.04.2020 – C-710/18
Pressemitteilung des EuGH v. 23.04.2020